Unterrichtsausfall seitens des Lehrers


Was passiert, wenn Unterricht innerhalb eines Vertragsverhältnisses ausfällt? Wann, wie und warum muss dieser Unterricht nachgeholt werden? Wenig Diskussion wird es um die Frage geben, was mit den Stunden passiert, die nicht gehalten werden konnten, weil der Lehrer verhindert war. Ich wollte diese Frage beiläufig beantworten, aber am Ende hat es einen ganzen Artikel gebraucht. Dieser liefert aber eine Teilantwort für die strittige Frage, was mit Unterricht passiert, der wegen des Schülers ausfällt.  

Ich würde zunächst behaupten, dass sowohl im Musikschulbereich als auch bei Privatdozenten folgende skizzierte Form des Unterrichtsvertrages die Regel ist: Unterricht findet wöchentlich in der gesetzlich geregelten Schulzeit zu einem festgesetzten Termin statt; es wird eine Jahresgebühr erhoben, die in 12 Teilen monatlich zu entrichten ist. Die maximale Anzahl der Stunden kann je nach Wochentag variieren, im Schnitt beträgt sie so ca. 38 Stunden pro Jahr. Es gibt auch Verträge, die die Stundenzahl von vornherein festlegen, meist unter dem Schnitt z.B. mit nur 36 Unterrichtseinheiten. Das hat drei Vorteile; erstens sind die Ungleichheiten von Wochentag zu Wochentag (Feiertage, Ferienbeginn) ausgeglichen; zweitens erscheint die Monatsgebühr dann günstiger; drittens bleiben freie Termine, die für ausgefallenen Unterricht verwendet werden können. 


Und da sind wir beim Thema. Unterrichtsausfall ist nicht gleich Unterrichtsausfall. Mich interessiert zunächst der Unterrichtsausfall, der infolge der Verhinderung des Lehrers entsteht. Dort gibt es - denke ich - kaum Diskussionen, ob dieser Unterricht nachgeholt werden muss. Klares Ja auch von meiner Seite.

Zählen wir aber einfach mal zusammen, was die Gründe für Verhinderung des Lehrers sein können.
Erstens: Krankheit. In meinem Artikel "Eine Gitarrenstunde müsste 25,35 EUR kosten" erwähnte ich den durchschnittlichen Krankenstand von Arbeitnehmern in Deutschland. Das sind 10 Arbeitstage, also 2 Wochen. Da sich Krankheit nicht an Schulzeiten hält sondern auch in Ferien auftritt, wären das 1,5 Unterrichtseinheiten pro Schüler, die infolge Krankheit des Lehrers pro Jahr ausfallen. Ziemlich wenig, wie ich finde, aber umso besser, niemand wünscht sich krank zu sein.


Die zweite Ursache finde ich recht bedeutsam: Verhinderung aus beruflichen Gründen. Das klingt eigenartig, aber in der Praxis ist das sehr naheliegend. Es wäre nämlich widersinnig, Musiker als Lehrkräfte auf Honorarbasis anzustellen und gleichzeitig zu erwarten, dass die Musiker die Honoraranstellung wie einen Voll- oder Teilzeitjob ausüben. Stichwort Scheinselbständigkeit. Wer das eine will, muss das andere mögen. Wer abends eine 100 km entfernte Mugge hat, der kann am Nachmittag nicht unterrichten. Das muss ein Musikschulbetreiber genauso berücksichtigen wie der Schüler eines privaten Gitarrenlehrers. Andernfalls müssten andere Honorare und Preise aufgerufen werden. 
Für den, der mit Musizieren Geld verdient, werden selbst wichtige Proben zum Problem. Abgesehen von denen, die noch irgendetwas ganz anderes machen, das zu Überschneidungen führt. Ich würde sehr, sehr vorsichtig schätzen, dass die Zahl ausgefallener Unterrichtsstunden wegen beruflicher Verpflichtung pro Jahr pro Schüler am Ende im Schnitt bei 1 liegt.


Grund Nummer drei wäre: Urlaub. Nanu, der Lehrer hat doch in den Ferien genug Zeit für Urlaub? Sicher hat er das. Aber jeder andere Beschäftigte kann in Absprache mit dem Arbeitgeber an jedem x-beliebigen Tag im Jahr Urlaub nehmen. Zum Beispiel wegen familiärer Feierlichkeiten, wegen an einen Tag gebundener privater Dinge, wegen ehrenamtlicher Tätigkeit usw.. Das passiert halt und ich würde sagen ungefähr an zwei Tagen im Jahr, auf eine Woche verteilt also Pi-mal-Daumen 0,4 mal pro Schüler im Jahr.

Grund vier: die höhere Gewalt - Autounfall, Auto kaputt, Fahrrad geklaut, Kind plötzlich krank, Schlüssel weg, Katze zum Tierarzt bringen, Wasserrohrbruch usw. - was manchem Schüler ziemlich oft widerfährt,  davor ist auch der Gitarrenlehrer ausnahmsweise nicht gefeit. Einmal in zwei Jahren passiert sowas. Diese Schätzung bedeutet 0,1 mal pro Schüler im Jahr.

Das bedeutet also in Summe: 1,5 (Krankheit) + 1 (Beruf) + 0,4 (Urlaub) + 0,1 (höhere Gewalt) = 3 Stunden.

Mit anderen Worten: Es fallen 3 Unterrichtsstunden pro Jahr pro Schüler infolge der Verhinderung des Lehrers aus. Das bedeutet, dass für 3 Stunden ein anderer zusätzlicher Termin gefunden werden muss. Sofern also der Vertrag die Anzahl der im Jahr zu gebenden Stunden nicht reduziert hat, wären das 3 Stunden, die in den Ferien, am Wochenende oder gar an Feiertagen nachgegeben werden müssen. 

Die Terminfindung mit Erwachsenen ist hier nicht ganz so kompliziert wie die mit schulpflichtigen Kindern. Für mich war es bisher noch unmöglich, einen kompletten Unterrichtstag in die Ferien zu verlagern. Mindestens ein Viertel der Schüler kann jeweils nicht. Bei 4 Tagen wird es umso komplizierter. Manche Musikschulen haben Schließzeiten, da reduziert sich die Auswahl an Terminen zusätzlich. Der eigene Urlaub des Schülers bzw. eigene Aktivitäten in der unterrichtsfreien Zeit kommen hinzu. Am Ende wird ein Unterrichtstag in mehreren Teilen und vielleicht auch in verschiedener Form nachgegeben. Beim ersten oder letzten Schüler eines Unterrichtstages kann das beispielsweise als Verlängerung der Stunde geschehen. Aber summa summarum ist die Verlagerung immer mit einem Zusatzaufwand an Zeit verbunden, es entstehen Schweizer-Käse-Nachmittage mit unbezahlten Freistunden.

Interessant ist die Frage, ob die Verhinderung eines Schülers an einem vom Lehrer vorgeschlagenen Ausweichtermin wie die Verhinderung an einem regulären Termin zu behandeln ist. Unterrichtsausfall seitens des Schülers soll erst im nächsten Artikel behandelt werden, aber man müsste an dieser Stelle bereits darauf eingehen. Kann sich der Schüler den Ausweichtermin heraus suchen? 
Sofern der Vertrag die Schulzeit als Unterrichtszeit festlegt, ist der Schüler rein rechtlich gesehen auf keinen Ausweichtermin zu verpflichten, denn die Ferien sind ihm für all das vorbehalten, was ihn

an der Unterrichtsteilnahme verhindern könnte - Urlaub, Termine, Freizeit. Vor allem dann, wenn man im Gegenzug erwartet, dass der Schüler in der Schulzeit keine derartigen Termine hat, für die er möglicherweise gar Anspruch auf Unterrichtsverlegung erhebt. Beispiel: Der Student. Seine Semesterferien decken sich nicht mit den Schulferien. Man müsste erwarten, dass er seinen Urlaub trotzdem in die Schulferien verlegt. Tut er das nicht, fällt es schwer, ihm den Anspruch auf Verlegung in die unterrichtsfreie Zeit einzuräumen. Tut er es, dann muss der Lehrer im Gegenzug akzeptieren, dass nicht jede Ferienwoche Platz für wegen ihm verlegten Unterricht bietet. Was bedeutet, dass der Termin für nachzugebenden Unterricht Vereinbarungssache ist. 
Und das heißt, dass ungefähr doppelte Zeit im Sinne von Unterrichtswochen veranschlagt werden muss. Im am häufigsten vorkommenden Vertragsfalle wären also 38 reguläre Unterrichtswochen zuzüglich der doppelten Anzahl der vom Lehrer abgesagten Unterrichtstermine ( 3, s.o. mal 2 = 6) vom Lehrer einzuplanen, um dem Unterrichtsvertrag gerecht zu werden. Macht 44 Unterrichtswochen.


Wir gehen hier von Durchschnittswerten aus. Ein junger, gesunder Lehrer ohne viele Nebenbeschäftigung, ohne familiäre Pflichten, mit viel Freizeit kann den üblichen Unterrichtsvertrag am ehesten ohne große Probleme erfüllen. Aber wer eine längere Krankheit zu überstehen hat, wer mit seiner Band tourt und wer viel unterrichtet, der stößt mit dem Nachgeben der wegen ihm ausgefallenen Stunden an die Grenzen des Machbaren.  


Die Diskussion, ob auch jene Stunden nachgeholt werden, die wegen des Schülers ausfallen, hätte sich mit dieser Feststellung eigentlich erübrigt. Das Jahr hat sozusagen nicht genügend Wochen dafür. De facto räumen die meisten Verträge allerdings den Anspruch auf diese Nachholung mindestens teilweise ein. In der Praxis kann das nur funktionieren, weil es genügend Lehrkräfte gibt, die den Mehraufwand leisten (können) oder die mit weniger Geld auskommen (können) und weil es Schüler gibt, die auf das Nachholen verzichten. Die Folge: Je seriöser ein Lehrer ist (Schüleranzahl, Alter, Berufserfahrung), desto mehr muss er sich selbst ausbeuten, um dem Wunsch der Musikschulen und
der Schüler nach "Kundenfreundlichkeit" und einladenden Verträgen nachzukommen.

Das Fazit also lautet, dass allein mit dem Nachgeben der durch den Lehrer ausfallenden Stunden ein organisatorischer und zeitlicher Mehraufwand betrieben werden muss, der das Nachholen von Unterricht, der aus nicht vom Lehrer zu verantwortenden Gründen ausgefallen ist, praktisch unmöglich werden lässt. In der Praxis wird hier "rumgewurschtelt", wie es der Sachse sagt und oft mit verschiedener Elle gemessen, anstatt dem "Kunden" reinen Wein einzuschenken.
Dass es noch andere Gründe gibt, die gegen das Nachholen von Unterricht sprechen, der wegen des Schülers ausgefallen ist, erklärt dann der nächste Artikel.

Was hat Orthorexie mit Musikpädagogik zu tun?

Haben Sie schon mal was von Üborexie gehört? Nein? ... ich auch nicht,. Den Begriff habe ich mir gerade ausgedacht als Pendant zur aktuell um sich greifenden Orthorexie, der Sucht nach absolut gesundem Essen. Die Parallele zur Musikwelt: Für möglichst effektive, didaktisch wohlüberlegte Übungen, interessieren sich Profimusiker -  vom Schüler werden sie konsequent ignoriert, weil sie meist nach nichts klingen. 

Ernährung ist eines der Topthemen unserer Zeit hierzulande. Vor ein paar Jahren, als der Bio-Lebensmittel-Trend in der Mitte der Gesellschaft ankam, wurde desöfteren argumentiert, dass Bioprodukte viel gesünder seien. Nicht nur, weil sie keine Spuren von Pestiziden enthalten, sondern weil sie nährstoff- und vitaminreicher als herkömmliche Produkte seien. Kein Zweifel, dass es so ist, aber als Argument kam mir das gegenüber den unwiderlegbaren ethischen und ökologischen Argumenten schon immer etwas komisch vor. 

Ich fragte mich: Wenn ein konventionell erzeugter Apfel z.B. ein Viertel weniger "Gesundes" enthält, wäre es doch auch vorteilhaft, noch einen halben konventionellen Apfel mehr zu essen. Das wäre dann sogar noch gesünder. Wobei es für die meisten Leute vermutlich schon vergleichsweise gesund wäre, überhaupt einen Apfel zu essen. Denn Obst und Gemüse kann man ja bekanntlich nicht genug essen. 
Ähnlich läuft die Diskussion um die Frage, ob man Gemüse kochen sollte oder nur roh essen wegen des Vitaminverlustes beim Zerkochen; oder ob eingefrostetes Gemüse noch genug Vitamine hat usw.. Wegen ein paar Milligramm mehr oder weniger entstehen in diesen Fragen Dogmen. Das geht soweit, dass man Lebensmittel und Speisen wegen ein paar fehlender guter Milligramme meidet, verdammt und verunglimpft. Dies noch vor dem Hintergrund, dass der Körper unabhängig von unseren Vorstellungen entscheidet, welche Stoffe er überhaupt in welcher Menge aufnimmt und nutzt.
Mittlerweile existiert ein Begriff für psychisch auffällige Beflissenheit um gesundes Essen - Orthorexie

Was hat diese Diskussion mit Musik, Gitarre, Didaktik usw. zu tun?

Nun, der Aufhänger wäre meine These: Minderwertiges konventionelles Gemüse ist immer noch besser als gar kein Gemüse. Und in Analogie ließen sich daraus schöne Leitsätze der Musikpädagogik basteln, z.B.: 

Minderwertiges Musikmachen ist immer noch besser als keine Musik zu machen. 

Falsches Üben ist immer noch besser als gar nicht zu üben. 

Nicht zu üben ist immer noch besser als nicht mehr zum Unterricht zu kommen (auch weil es nicht unendlich viele fleißige Schüler gibt). 

Der Maßstab des Profimusikers oder des Musikpädagogen ist einer, bei dem es tatsächlich um ein paar Milligramm mehr oder weniger geht, genauso wie es beim Leistungssportler um die Optimierung sämtlicher Leistungsfaktoren geht. Aber dem normalen Musikschüler ist diese Herangehensweise völlig fremd. Hier kommt es zu vielen Missverständnissen zwischen Lehrer und Schüler. 

Hocheffektive Technikübungen beispielsweise dürften für den normalen Schüler ineffektiv sein, weil sie meist nicht viel mit schönem Klang zu tun haben und der Schüler wenig Lust verspürt, sie regelmäßig zu machen. Sämtliche Lerngegenstände werden am besten gelernt, wenn sie möglichst oft wiederholt werden. Je grässlicher eine Übung aber ist, desto niedriger ist die reale Wiederholrate in der Schülerschaft. Profimusiker haben einen Riesenspaß, sich Fingerbrecher auszudenken, sich an ihnen abzuarbeiten und sie ihren Schülern weiter zu empfehlen. Schüler aber wiederholen lieber weltbekannte Viertakter unendlich oft als auch nur einmal "Fingerklimmzüge", "Spinnen" oder sonstige hochdosierten Häppchen zu probieren. Eine Übung wird allerhöchstens akzeptiert und gemacht, wenn sie dazu dient, einen beliebten Viertakter zu lernen oder besser zu spielen.  

Ähnlich kleinlich wie bei der Vitaminmenge in verschiedenem Obst kann man auch bei musikalischen Aspekten wie Dynamik, Timing und Tongebung sein. Manchmal sagen anspruchsvolle Pädagogen, dass ein vom Schüler gleichförmig und ausdrucklos gespieltes Stück keine Musik und also nichts wert ist. Das ist nach all meiner Erfahrung jedoch ein reines Luxusproblem. Jedes im Zieltempo durchgespielte Stück ist ein Erfolg, den man dem Schüler mit nichts kleinreden sollte. Genauso wie es keine ungesunden Äpfel gibt.  

Ein Schüler entwickelt seinen Leistungswillen und seinen Anspruch von selbst, und zwar dadurch, dass er Spaß durch Erfolg und Erfolg durch Spaß hat. Dann kann man durchaus auch mal über Effektivität nachdenken, denn dann trägt sie zum Erhalt der Spaßmenge bei. In den meisten Fällen jedoch sollte meiner Meinung nach der klangliche Weg des Anreizes gewählt werden: Bekanntes, Schönes, Spannendes und Leichtes. Zehn leicht verdauliche Sachen bringen den Schüler weiter als eine schwergewichtig komprimierte, an der ihm die Lust vergeht.