Unterrichtsausfall seitens des Schülers

Muss Unterricht nachgeholt werden, der wegen der Verhinderung des Schülers nicht zum geplanten Termin stattfinden konnte? Eine vieldiskutierte Frage, die oft nicht wirklich geklärt sondern irgendwo zwischen Vertrag, Lehrer und Schüler irgendwie gehandhabt wird. Kaum jemand spricht klar und deutlich aus, was ich mit Argumenten belege: Unterrichtsausfall seitens des Schülers wird nicht nachgeholt. 

Schätzungsweise 3 Stunden im Jahr müssen pro Schüler verlegt werden, weil der Lehrer für den Ausfall verantwortlich ist (siehe hier). Häufiger als der Lehrer ist jedoch der Schüler verhindert. Die Gründe sind hier meist anders gelagert. Das liegt schon allein daran, dass Gitarrenunterricht für den Schüler keine Arbeit ist wie für den Lehrer. Die häufigsten Gründe sind aus meiner Erfahrung bei Kindern: Krankheit, Schulveranstaltung/Ausflug, Kindergeburtstag - und bei Erwachsenen: Arbeit, Krankheit, Urlaub/Semesterpause, privates. Ich schätze, dass im Schnitt ungefähr 5 Stunden im Jahr vom Schüler abgesagt werden. Bei einzelnen Schülern ist die Zahl deutlich höher, andere kommen fast immer.

Im Artikel "Unterrichtsausfall seitens Lehrer" habe ich bereits festgestellt, dass das Nachholen dieser Stunden am Ende organisatorisch kaum möglich ist. Dennoch weiß ich, dass viele Musikschulen auf dem Nachholen solcher Stunden bestehen, Schüler bzw. Eltern genauso. Das Argument ist immer: Unterrichtausfall = keine Leistung = kein Geld.

Abgesehen davon, dass (wie eingangs gesagt) aus praktisch-organisatorischen Gründen das generelle Recht auf Nachholen nicht eingeräumt werden sollte, bezweifle ich die Richtigkeit der Argumentation "Keine Leistung = kein Geld". Diverse Denkfehler führen dazu, dass das Unterrichtsverhältnis von vielen falsch gedeutet wird. Eine Steigerung dieses Missverständnisses ist beispielsweise die Diskussion darüber, warum man in den Sommerferien bezahlen soll, wenn doch gar kein Unterricht ist. Ich habe schon Menschen mit höherem Bildungsgrad erlebt, die nicht verstehen wollten, dass sie die monatliche Rate einer Jahresgebühr zahlen und keine Summe der monatlich abgehaltenen Einzelstunden.

Die Hauptursache für die ewigen Diskussionen liegt darin, dass der besondere Charakter der Dienstleistung des Musikpädagogen und der besondere Charakter seiner Tätigkeit nicht berücksichtigt wird. Stattdessen wird seine Arbeit mit einer gewöhnlichen, nach Zeit und/oder Leistung bezahlten Dienstleistung gleichstellt.

Zwei Dinge fallen mir auf.

Als erstes sind das Missverständnisse über die berufliche Situation eines Musikpädagogen. Das liegt vor allem darin begründet, dass die meisten Musiklehrer heutzutage auf Honorarbasis arbeiten. Ein Teil derer lebt nicht vom Unterrichten allein, er verdient nebenbei mit anderen Jobs Geld, meist auf der Basis der freiberuflichen Tätigkeit. Andere wiederum erzielen mit dem Unterricht ein Teilzeit-Einkommen, das ihnen reicht, weil sie durch einen Ehepartner versorgt sind oder weil sie prekär leben oder weil sie Studenten sind oder weil sie "schwarz" arbeiten oder weil sie sparsam und bescheiden sind. Diese beiden Gruppen tragen ungewollt dazu bei, dass der Musikpädagoge nicht als vollwertiger Beruf mit einer eigenen Organisationsform angesehen wird. Die Beurteilung Außenstehender tendiert zumindest unterschwellig ein wenig in die Richtung des  Gelegenheits- oder Zusatzjobs. 

Einem Lehrer an einer allgemeinbildenden Schule kann man nicht die Zeit vorrechnen, die er mit bestimmten Tätigkeiten verbringt. Aber es erscheint demgegenüber selbstverständlich, dass die Ableistung einer einzelnen Gitarrenstunde eine einzelne Dienstleistung ist, so wie sie etwa ein Handwerker erbringt. Die daraus resultierende Argumentationskette lautet: Ich bezahle die Zeit des Lehrers und für keine Zeit bezahle ich kein Geld. 

Abgesehen davon, dass es auch einen Teil an Lehrern gibt, der tatsächlich ein unterdurchschnittliches Vollzeiteinkommen mit Unterricht verdient, kann man den Vergleich mit den Handwerkern nur betrachten, wenn man den Gitarrenlehrer zum Vollzeit-Job hochrechnet und nicht als eine prekäre Beschäftigung, die im Extremfall gar von sozialen Leistungen subventioniert wird. Musikpädagogen, die nicht Vollzeit arbeiten bzw. deren Tätigkeit man nicht als Teil einer Vollzeitbeschäftigung ansieht, erscheinen zwangsläufig als zeitlich flexible Dienstleister. Doch das ist  ins Große gerechnet unzulässig.

Wenn wir den Gitarrenlehrer als Dienstleister in Vollzeit betrachten, dann müssen wir auf das typische Organisationsmodell seines Berufs schauen. Jeder Beruf hat eine spezifische Arbeitsdichte, das finden wir normal. Die Arbeitsdichte eines Rettungsassistenten ist anders als die eines Fließbandarbeiters. Einen Taxifahrer bezahlt man nicht nur für die Zeit, die er mit Fahrgästen fährt, sondern auch für die Zeit, die er ohne Fahrgast fährt und für die Zeit, in der er steht und auf einen Fahrgast wartet. Damit ein Taxifahrer von seinem Job leben kann, muss er die Arbeit und die Preise so organisieren, dass sich das ganze am Ende rechnet. Sein Warten bezahlt derjenige, der einsteigt und nicht derjenige, der nicht eingestiegen ist.

Auch für den Gitarrenlehrer gibt es ein Arbeitsdichtemodell, das sich aus nachvollziehbaren Gründen ergibt. Unterricht findet vorwiegend nachmittags statt, Unterricht findet regelmäßig wöchentlich über einen längeren Zeitraum statt, Unterricht findet zusammenhängend nach Stundenplan statt. Eine Gitarrenstunde als eine einzelne Dienstleistung wie das Haareschneiden zu betrachten, widerspricht diesem Organisationsmodell. Die regelmäßig wiederkehrende Teilnahme des Schülers muss organisiert werden, nicht die Ableistung mehrerer Einzelleistungen, deren Terminierung relativ frei und verschiebbar wäre. 

Ein Vollzeit-Lehrer gibt bis zu 5 Uhrzeitstunden am Tag Unterricht, und das können bis zu 50 Schüler in der Woche sein. Das muss organisiert werden.
Ein weiteres Argument gegen das Nachholen von Unterricht, der seitens Schüler ausgefallen ist, ist das besagte auf Vollzeit hochgerechnete, berufsspezifische  Organisationsmodell. Der Stundenplan regelt seine Einsatzzeit und nicht die 24h-Rufbereitschaft eines Schlüsselnotdienstes.

Fazit: Der Gitarrenlehrer arbeitet nicht in Rufbereitschaft sondern nach Stundenplan. Nachholen von Stunden wären wie eine kurzfristige Änderung des Stundenplans zu verstehen. Diese ist in der zu erwartenden Größenordnung von seitens des Schülers ausgefallenem Unterricht berufsbedingt organisatorisch nicht möglich. 

Hier geht es zum Teil 2 der Argumentation "Unterrichtsausfall seitens Schüler"


1 Kommentar:

  1. Sehr gut ausgeführt !
    Leider immer wieder Thema:
    Wieso muss ich bezahlen, wo doch gar kein Unterricht stattgefunden hat. Natürlich meistens von Leuten vorgebracht, die ganz selbstverständlich Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten Urlaub, Urlaubs- und Weihnachtsgeld etc in Anspruch nehmen.

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