Gitarre lernen ohne Üben?

Gitarrenunterricht ohne zu Hause zu üben? Geht das? Die Theorie sagt hier vermutlich NEIN, aber die Praxis sagt: JA, es muss gehen. Denn in der Realität sieht es so aus, dass ein nicht unerheblicher Teil der Schüler aus diversen Gründen so gut wie nie übt. 



Die meisten sagen mir ganz offen, wenn sie nicht geübt haben, denn sie wissen, dass ich daraus kein Problem mache. Bei vielen Schülern, die nicht geübt haben und es nicht sagen, merkt man nicht nur den fehlenden Fortschritt nach einer Woche sondern auch, dass nach 7 Tagen ohne Wiederholung bestimmte Dinge vergessen wurden. Es ist auch schon manchmal vorgekommen, dass ein Schüler seine Noten im Unterricht vergisst und es erst eine Woche später merkt - beim Auspacken der Noten im Unterricht. Trotzdem kommen diese Schüler nicht ungern zum Unterricht, und trotzdem kündigen sie den Unterricht nicht auf. Ich habe schon in  anderen Blogtexten darauf hingewiesen, dass sich der private  Musikpädagoge darauf einrichten muss, dass ein Teil der Schüler die Gitarre nur im Unterricht zur Hand nimmt. Wer auf jeden Schüler angewiesen ist, muss damit leben, dass mancher Schüler keinen eigenen Antrieb zum Musizieren verspürt, egal wie toll der Lehrer und der Unterricht ist. Ein subventioniertes Schulsystem würde diese Schüler sanktionieren oder ausfiltern. Ein privat finanziertes System muss damit umgehen.

Üben ist die Wiederholung von Bewegungsabläufen. Wir gehen davon aus, dass ein tägliches Üben maximalen Fortschritt ermöglicht. Es ist allerdings nicht gesagt, dass Üben im Abstand von 7 Tagen zu Stillstand oder Rückschritt führt. Ich würde behaupten wollen, dass jemand, der nur aller 7 Tage im Unterricht übt, vermutlich 7 mal länger zum Lernen braucht, als derjenige, der täglich übt. Ökonomisch ausgedrückt, wäre infolge des Nichtübens der Musikunterricht also 7 mal so teuer.

Im Unterricht wiederholend zu üben, ist für manche Lehrer ein Tabu. Wer auf nicht übende Schüler angewiesen ist, kann jedoch nichts anderes im Unterricht machen. Mit einem Schüler zu üben, ist keine besonders aufregende Tätigkeit. Aber immerhin ist diese teure Übezeit für den Schüler effektiver, als wenn er die gleiche Zeit allein üben würde. Gründe dafür sind das hohe  Konzentrationslevel im Beisein des Lehrers, desweiteren die sofortige Kontrolle zur Fehlervermeidung und schließlich die effektive Übestrategie, für die der kompetente Lehrer sorgt. Wenn man dieses Plus an Effektivität berücksichtigt, könnte der Verlustfaktor 7 ein wenig reduziert werden. Und da selbst ein fleißiger Schüler kaum wirklich 7 mal in der Woche zu Hause übt, bliebe am Ende vielleicht ein Faktor von ca. 3-4 übrig, den der nicht übende Schüler  verlangsamt lernt gegenüber dem übenden Schüler. Das deckt sich auch so ungefähr mit meinen Erfahrungen. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen "faul" und "fleißig". Aber wenn ein "fauler" Schüler längere Zeit wenigstens regelmäßig zum Unterricht kommt und mit mir übt, ist sein minimaler Erfolg dann doch recht beachtlich.

Unterrichtszeit mit Üben zu verbringen, reicht aber im Umgang mit nicht übenden Schülern nicht aus. Zusätzlich muss der Lehrplan angepasst werden. Lernschritte und Lerngegenstände müssen so klein sein, dass der Schüler nicht 2 Monate die gleiche Übung im Unterricht übt, sondern dass man nach spätestens 3 Wochen den nächsten Schritt gehen kann. So wird es nicht fürchterlich langweilig für beide Beteiligten. Da ich meinen Lehrplan draufhin entwickelt habe, und er auch noch für den langsamsten Schüler halbwegs abwechslungsreich ist, ist es für den schnellen Schüler umso schöner, schnell voranzukommen. Ich hatte noch niemanden, der sich über zu einfache Aufgaben beschwert hätte. Falls doch, hätte ich viele Ideen, wie man sich an einem Stück Herausforderungen suchen könnte.

Es macht für mich keinen Sinn, von den Schülern bzw. den Eltern mehr häusliche Übezeit einzufordern. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass jeder weiß, dass man mit dem täglichen Üben deutlich schneller lernt. Wer das nicht macht, hat sich entschieden langsamer zu lernen. Diese Entscheidung ist zu akzeptieren, da es weder Lernziele noch zeitliche Vorgaben dafür gibt. Ich sehe es nicht als eine Entscheidung, die gegen mich oder meine Interessen gerichtet wäre. Sicher ist es erstmal schwierig einzusehen, dass die eigene Mühe vergeblich ist, den Schüler auf einen erfolgreicheren Weg zu bringen. Man muss dann, wie man so schön sagt "loslassen" können.

Möglicherweise ist die Akzeptanz des Musiklernens ohne selbständiges Üben ein musikpädagogischer Tabubruch. Allerdings möchte ich ein Beispiel nennen, in dem es in ähnlicher Weise wie beim Gitarreneinzelunterricht zugeht und in dem selbständiges Üben nicht möglich ist: die Fahrstunden in der Fahrschule. Würden wir behaupten wollen, dass Autofahrenlernen bis zur Fahrprüfung nicht möglich ist, da man nicht vorher täglich selbständig üben kann? Die kognitiven Anforderungen beim Autofahren halte ich mit denen beim einfachen Musizieren vergleichbar. Es wäre vorstellbar, dass man Autofahren sogar mit weniger Fahrstunden lernen könnte, wenn man diese nur im wöchentlichen Abstand absolvieren würde. Der Zeitraum bis zur Prüfung wäre zwar länger, aber man bräuchte bestimmt weniger Stunden. Warum sollte das beim Musizieren nicht gehen?

Ein möglicher Grund für die Ablehnung des Übens mit "faulen" Schülern im Unterricht wäre, dass sich der Lehrer aufgrund seines Renommees und seines Könnens zu fein dafür ist. Zu recht, denn es wäre schade, wenn ein Star sein Wissen und Können nicht ausreichend weitergeben kann, weil er unpassende Kundschaft hat. Die Realität sieht für die meisten Gitarrenlehrer aber anders aus. Erstens sind die meisten keine Stars, zweitens gibt es für die meisten nicht genügend "fleißige" Schüler.   

Geht beim nicht übenden Schüler die Motivation verloren? Nein, denn er hat ja - wie oben geschildert - kaum Motivation, sonst würde er zu Hause üben. Es ist richtig, dass aus Erfolgserlebnissen neue Motivation wächst. Ein Erfolgserlebnis kann durch Üben erzielt werden. Auf diese Weise kann eine positive Spirale in Gang gesetzt werden: Üben führt zu Erfolgen und motiviert zum Üben. Den Eingang in diese Spirale kann man allerdings nicht erzwingen. Ich glaube daran, dass sich der "faule" Schüler absolut freiwillig in diesen Mechanismus begeben sollte. Für den Lehrer gibt es nur eine Möglichkeit, den Schüler relativ unbemerkt dahin anzustupsen: Das Üben im Unterricht. 




  


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